Hoch in den Hügeln von Beverly Hills, dort, wo der Fahrtwind nach Eau de toilette riecht und selbst der Vorgarten zur Maniküre muss, dort, wo die wahren inneren Werte in Silikonbrüsten stecken und Frauen mit zunehmendem Alter immer jünger aussehen, betritt die Krankenschwester Krista Russell eine lachsfarbene Arztpraxis mit Blick auf die smogumhüllte Skyline von Los Angeles.
Sie geht vorbei an einer Arzthelferin, deren große Brüste stolz auf dem Empfangstresen ruhen, und einem ausgehängten Zeitschriftenartikel mit dem Titel: "Leiden Sie auch unter Schamlippen-Neid?" Dann betritt sie das Sprechzimmer jenes Mannes, der die Jugend zurückholen soll in ihr unaufhaltsam fortgeschrittenes Leben: Dr. David Matlock, 46, Frauenarzt und Schönheitschirurg. Gefühltes Alter: 30. Die Nase: gerichtet. Die Muskeln: definiert. Der Körperfettanteil: (nach eigenen Angaben) 6,9 Prozent. In seinem Sprechzimmer steht nichts als ein blank polierter Glastisch und auf dem nichts als eine überdimensionierte Vagina aus Plexiglas. Welcome to L.A.
Frau Russell ist extra aus Florida angereist. Bis zur Ostküste drangen die Geschichten von Dr. M., der sich dem Kampf gegen die Schwerkraft der Natur verschrieben hat und in seinem "Verjüngungszentrum" an der Frau der Zukunft bastelt. Eigentlich ist Krista Russell eine hübsche, schlanke Frau mit langen blonden Haaren. Sie hat die Beine einer 30-Jährigen und das Gesicht einer maximal 35-Jährigen, aber bei genauerem Hinsehen stellte sie mit Entsetzen fest, dass es tatsächlich Körperregionen gibt, die so alt aussehen, wie sie wirklich ist: 46.
Dr. Matlock beruhigt sie und zeigt ihr in seinem ledergebundenen Fotoalbum unzählige Nacktmodelle aus dem "Playboy", junge, straffe Frauen mit "musterhaften Vaginas", wie er findet: clean und symmetrisch und günstig zu erstehen für den Preis eines Kleinwagens (Studentinnen bekommen Ermäßigung). Er spricht mit sanfter Stimme und produziert Zauberwörter wie "Komplettverjüngung" und "Sexualerfüllung". Er zerstöre auch Cellulite, beseitige Oberarmfett und schneidere auf Wunsch Jennifer-Lopez-Hintern. Wenn Arnold Schwarzenegger der Terminator des Bösen ist, dann ist er der Terminator des Alterns.
Als Krista Russell die Praxis verlässt, hat sie sich für den kompletten Umbau entschieden: Laservaginalverjüngung, Schamlippenstraffung, Klitorisfreilegung für 9000 Dollar plus Steuern. Die Hoffnung kehre zurück, sagte sie, die Hoffnung auf ein Leben in Würde. Auf zwei Flachbildschirmen in der Wand verkündet CNN den tragischen Tod zweier US-Soldaten im Irak.
Der Besuch der Krista Russell auf dem Sunset Boulevard 9201, Suite 406, könnte einer Zukunftsutopie Aldous Huxleys entspringen, aber er ist echt. Er ist so echt wie das arabische Mädchen im Vorzimmer, das sich bereits ihre vierte Jungfernhaut einsetzen lassen will. So echt wie die 70-jährige Millionärswitwe in Versace-Lederhosen, die für ihren 28-jährigen Liebhaber noch mal wie 28 aussehen will. Und so echt wie er selbst: der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende, selbst ernannte "Boutique-gynäkologische Schönheitschirurg", der so lachsfarbenwarm ist wie die Räume seiner Praxis: Dr. David L. Matlock aus St. Louis, Missouri.
Man könnte ihn beschreiben als einen narzisstischen, neureichen, publicitygeilen Geschäftsmann, aber er übernimmt das lieber selbst. Er sagt - mit jungenhaftem Grinsen -, er sei so genial, dass man ihn eigentlich klonen müsse. Er sei so reich, dass er einen 136 000-Dollar-Porsche Turbo, einen Mercedes 500 und einen Hummer fahre. Er sei so beliebt, dass Pelé und Hollywood-Stars zu den Partys in seine Villa kämen. "Nehmen Sie das alles auf", befiehlt er, als könne man so viel Selbstbewunderung unerwähnt lassen. "Schauen Sie sich meine Werke an. Seien Sie live dabei. Wir ermöglichen alles."
Man möchte nicht unbedingt live dabei sein, wenn der Doktor seine Patientinnen verjüngt, aber er besteht auf Anwesenheit. An einem Mittwochmorgen liegt Krista Russell mit weit gespreizten Beinen auf seinem OP-Tisch. Vor ihrem Schritt, auf einem Hocker, sitzt Matlock mit Arztkittel und Laserbrille und macht sich an sein Werk. "Ich bin Künstler", sagt er. "Das hier ist 100 Prozent Kunst, verstehen Sie?" Er sticht durch intimste Körperpartien, entfernt Haut, verengt Muskeln und macht Schnitte, die zu beobachten man magenstark sein sollte. Nach einer zweistündigen Operation sagt er triumphierend: "Jetzt sieht sie aus wie ein Teenager und ist eng wie ein Teenager."
Man könnte nun gehen, der Ohnmacht nahe, aber keiner verlässt die Praxis des Doktors, ohne seine Visionen der Zukunft zu erfahren. Begeisterungstrunken sagt er: "Das ist ja nicht alles. Wir vergrößern auch G-Spots. Meine Erfindungen werden die Welt erobern. Ich mache Frauen glücklich. Ich rette Ehen. Sprechen Sie mit den Frauen. Dann kommen Sie wieder. Ich freue mich."
So geht man, etwas betäubt, und versucht zu begreifen. Man denkt an Dr. Frankenstein, aber er sieht sich eher in der Tradition Dr. Albert Schweitzers. Man trifft im Flur auf Matlocks breitschultrigen, grinsenden PR-Berater, der jeden Schritt der Journalisten überwacht. Man sucht nach einem Ausgang im lachsfarbenen Labyrinth, sehnt sich nach Luft,
Tageslicht, Realität, hat den plötzlichen Wunsch, ihn zu enttarnen, vorzuführen. Und begibt sich auf die Suche nach seinen Opfern, nach all den naiven, verzweifelten Frauen, die sich in die Hände von Dr. M. begeben haben.
Es ist ein Freitagabend im Ogus, einer jener Bars im Zentrum von Hollywood, in denen junge, hübsche Frauen nach alten, reichen Männern Ausschau halten - und umgekehrt. Charlene Hartenstein trägt eine enge schwarze Hose und eine weiße Bluse mit tiefem Ausschnitt und gibt flüsternd ihre Tipps ab: "Die da am Tresen hat ein gutes Pfund Silikon, weißt du, und die dort mit den aufgepumpten Lippen war sicher auch bei Matlock, weißt du, und schau dir die Nase von der Blonden an, die ist von Dr. Brocholl, da habe ich meine auch her, weißt du." Frau Hartenstein ist Single. Sie ist oft im Ogus. Manchmal sitzt sie mit ihren Freundinnen nur so da und spielt Silikonspotting. "Naturbusen sind selten geworden", sagt sie. "Der Verdrängungswettbewerb ist unerbittlich. In dieser Stadt kommt alles auf zwei Dinge an: Geld und Schönheit. Mit plastischer Chirurgie zeigst du beides."
Sie sagt dies mit jenem halbherzigen Abscheu, mit dem Alkoholiker von der Zerstörungskraft der Sucht sprechen und doch wieder zur Flasche greifen. Frau Hartenstein ist 38 und hat alles gegeben. Hat Botox in der Stirn und Silikon in der Oberlippe. Hat sich von Matlock zehn Kilo Fett absaugen lassen - an den Armen, den Beinen, dem Bauch -, hat die Wangenknochen richten, ihre Cellulite entfernen und sich einen Jennifer-Lopez-Hintern schneidern lassen, der als solcher nicht unbedingt zu identifizieren ist. Sie hat ihr ganzes Geld in die Designer-Chirurgie gesteckt, bis sie sich schön genug fand für den Markt. Aber der Markt wollte sie nicht.
Als Dr. M. ihr seine neueste Erfindung vorstellte, wollte sie unbedingt die weltweit erste Patientin sein. Es ging um den "G-Shot", die vermeintliche Wunderwaffe der sexuellen Befreiung. Also legte sie sich auf seinen OP-Tisch und ließ sich einige Gramm Kollagen spritzen, einen kleinen, münzgroßen Hügel, dort, wo Matlock ihren G-Spot vermutete. "Ich war sexuell erregt, wenn ich nur die Beine kreuzte oder Yoga machte oder auf dem Highway über Schlaglöcher fuhr." Als sie nicht mehr weiterwusste, hielt sie auf der Standspur an und rief Matlock an: "Ich kann nicht mehr", hauchte sie. "Ich laufe in Dauererregung durchs Leben." Da wusste er: Das ist die Erfindung, die die Welt erobern wird. Eine Welt voller konstant erregter Frauen, die beim Fahren schlechter Highways multiple Orgasmen bekommen. Er meldete Patente in elf Ländern an und sah sich am Ziel.
Charlene Hartenstein möchte jetzt gern etwas von ihren multiplen Orgasmen auf kalifornischen Highways erzählen, aber so genau möchte man das nicht wissen. Man fragt, ob sie sich nicht in den Dienst eines skrupellosen Arztes stelle, aber sie sagt, sie stelle sich eher in den Dienst eines einfühlsamen Genies. Man fragt, ob sie sich nicht als Versuchskaninchen sehe, aber sie sieht sich als Pionierin einer neuen Frauenbewegung. Man denkt nun an Teresa Orlowski, aber sie meint eher Jeanne d'Arc. "Matlock macht Frauen zu glücklicheren Menschen", sagt sie. "Er weiß, was wir wollen." Als die Wirkung des G-Shots nach drei Monaten nachließ, ließ sie sich für 2000 Dollar den nächsten Schuss geben und danach den nächsten. Dann lief der Freund weg.
Gegen Mitternacht fährt Frau Hartenstein zu einem Club nach Santa Monica, wo die Frauen noch schöner sind, die Männer noch reicher und die Paarung noch leichter. Sie trinkt einen Choco Martini und sagt, dass sie eine ganz normale Frau sei, die sich nach Liebe sehnt. Sie trinkt noch einen Schluck und sagt, dass sie nach ein paar Choco Martini leicht abzuschleppen sei. Sie trinkt noch einen Schluck und sagt, dass sie, weißt du, in Hollywood gearbeitet hat, als Masseurin, aber Hollywood ist auch nicht mehr das, was es mal war, weißt du, und ihre jüdischen Eltern haben den Holocaust überlebt, weißt du, und ihre Brust würde sie gern noch anheben lassen, weißt du, aber eine Cindy Crawford wird aus ihr wohl nicht mehr. Da möchte man nicht widersprechen. Im Morgengrauen fährt Charlene Hartenstein zurück in ihr Einzimmerapartment von Beverly Hills, in dem es ein Dutzend Parfümsorten gibt, aber keinen Stuhl zum Sitzen, keinen Tisch zum Essen und keine Schulter zum Anlehnen.
Als Frau Rodriguez vor 20 Jahren aus Mexiko nach L.A. kam, hatte sie nichts - außer einer vagen Vorstellung vom amerikanischen Traum. Heute hat sie ein Haus in einem Vorort von L.A., das wie alle amerikanischen Vorort-Häuser aussieht. Sie hat drei pummelige Kinder, die so pummelig sind wie viele amerikanische Kinder. Und sie hat einen neuen Bauch, ein neues Jungfernhäutchen und demnächst vielleicht einen neuen Busen. "Ich bin angekommen", sagt Frau Rodriguez.
Sie sitzt im Wohnzimmer ihres zweistöckigen Hauses unter einem Gemälde, das Jesus Christus beim Abendmahl zeigt. Auf dem Tisch stehen weiße Lilien und ihr Hochzeitsfoto. Sie blickt traurig auf das Foto. Sie trug damals nicht Weiß. Sie war keine Jungfrau mehr, als sie ihren Mann kennen lernte. Sie schämt sich noch heute dafür und muss jetzt ein bisschen weinen. Sie mochte im Land der unbegrenzten Möglichkeiten angekommen sein, aber ihre katholischen Moralvorstellungen konnte sie nicht aushebeln. Dann hörte sie vom Doktor. Sie nennt Matlock nur den Doktor. Der Doktor empfahl eine Jungfernhäutchen-Restaurierung bei gleichzeitiger Genitalverjüngung. Sie hielt das für ihre letzte Rettung. Ihr Mann hielt das für den letzten Schwachsinn. Zwei Jahre lang weigerte er sich, 8000 Dollar für die Operation auszugeben, obwohl sie ihn täglich anflehte. "Dann habe ich ihm einen Monat lang Blowjobs versprochen", sagt sie leise und zwinkert mit dem Auge. "Das hat geklappt."
Frau Rodriguez muss jetzt ein bisschen kichern. Das war ganz schön clever, findet sie. Sie hat dann auch gleich die Vaginalverjüngung durchgesetzt und danach die Fettabsaugung an Armen, Beinen und Rücken, insgesamt acht Gebiete. Sie spricht von restaurierten Gebieten, als handele es sich um marode Stadtteile. Sie zeigt nun stolz ihre restaurierten Gebiete, wo sich Pullover und Hose allerdings schon wieder etwas spannen. "Ich bin glücklich", sagt sie, "nur die Brust ist noch zu klein."
Frau Rodriguez hat versucht, ihrem Mann noch einige Blowjobs zu verkaufen, 30 für je 300 Dollar oder sonst auch 60 für 150 Dollar. Das wäre genug für zwei neue Brüste, hat sie durchgerechnet. Aber er macht da nicht mit. Herr Rodriguez kommt gerade von der Arbeit nach Hause und möchte auch etwas dazu sagen: Es reiche ihm langsam mit dem ganzen Verjüngungskram. Sie erwidert, er habe doch auch etwas von den vergrößerten Brüsten. Er sagt, er werde sich eher scheiden lassen, als Silikon anzufassen. Frau Rodriguez meint - nun etwas eingeschnappt -, er gucke immer anderen Frauen mit vergrößerten Brüsten hinterher. Herr Rodriguez entgegnet, sie sei es, die den Frauen hinterhergucke, weil sie es nicht ertragen könne, kleinere zu haben.
Man möchte nicht weiter stören, aber Herr Rodriguez will noch wissen, ob er nicht auch mal das Recht habe, sich ein neues Auto zu kaufen statt neue Brüste. Frau Rodriguez wendet ein, dass sie für die Brüste ja einen Rabatt aushandeln könne. "Ich hätte gern mal ein Motorrad", sagt er. "Nur noch die beiden Brüste, dann ist Schluss", sagt sie. Vielleicht, so grummelt er niedergeschlagen, sollte man das Geld lieber fürs College der Kinder sparen. Da sagt sie nichts mehr.
Eigentlich heißt sie Alveta Loretta, aber an dem Tag, als ihr das zweite Leben geschenkt wurde, änderte Alexis Blaylock auch gleich ihre Namen. Vor jenem Tag im Dezember 2000 war die Polizistin aus San Diego eine geschiedene vierfache Mutter und Großmutter, die sich fragte: War es das jetzt mit der heißen Liebe? Soll ich jetzt für den Rest meines Lebens Kekse backen? Beim Sex fühlte sie nicht mehr viel, ihr Körper war schwer und unförmig, ihr ganzes Dasein das Gegenteil jenes Glamourlebens, das ihr auf allen Sendern entgegenschlug: ewige Jugend, heiße Abenteuer, unendliche Lust.
Als sie von den Verjüngungsprogrammen Dr. Matlocks hörte, nahm sie einen Kredit auf und fuhr nach L.A. Er schlug ihr Fettabsaugung und Vaginalverjüngung vor und fragte sie: "Wie eng wollen Sie sein?" "Wie eng, ich weiß nicht, vielleicht wie früher", sagte sie. "Wie ein Teenager?", fragte er. "Sie machen das?" "Klar", sagte Matlock. Frau Blaylock grinst wie ein freches Mädchen, wenn sie davon erzählt. "Ich kann Ihnen verraten, es ist gut, so gut", sagt sie mit lauter, dunkler Stimme. Sie sitzt in einem eleganten Restaurant von San Diego mit Blick über den Hafen. Sie spricht sehr laut. Auch die Tischnachbarn finden, dass sie sehr laut spricht. "Ich bin der Traum der Männer", sagt sie noch etwas lauter. "Ich habe die Vagina eines Teenagers und die Erfahrung einer Frau."
Man möchte nicht unbedingt wissen, was das konkret bedeutet, aber Frau Blaylock würde gern mitteilen, wie orgasmisch das Leben einer Großmutter sein kann. Bei der Polizei, wo sie für die Sicherheit des Bürgermeisters zuständig ist, sagt man, sie sei so sexy wie ihr Vorbild Tina Turner. An dieser Stelle möchte Frau Blaylock gern ein Lied von Tina Turner singen. Doch, das möchte sie jetzt unbedingt tun. Sie singt Tina Turner. Private Dancer. Alle drei Strophen.
Man könnte jetzt gehen, aber sie will ihrem Chef, dem Bürgermeister der 1,3-Millionen-Stadt San Diego, noch mitteilen, dass deutsche Reporter gekommen sind, um sie zu interviewen. Man möchte dem Bürgermeister nicht unbedingt erklären müssen, dass man über die Vaginalverjüngung seines Bodyguards berichtet, aber Frau Blaylock ist nicht aufzuhalten in ihrer Begeisterung. Das Glück müsse einfach heraus. Sie lebt jetzt spontan. Sie singt auch auf Karaoke-Bühnen. Sie hüpft auf den Bühnen herum wie ein Teenager. Sie erzählt ihren Töchtern vom Segen der Verjüngung. Und wenn man sie fragt, ob das alles nicht fragwürdig ist, blickt sie verständnislos: "Warum denn? Ich fühle mich doch besser." Ja, aber erst nach schmerzhaften Operationen. "Alle quälen sich doch, um schön und sexy zu sein, kleiden sich eng, benutzen Make-up, heben Gewichte." Das mag ja sein, aber was will sie in zehn Jahren machen, wenn der Körper unweigerlich altert? "Dann habe ich diese zehn Jahre eben genossen", sagt sie.
Vor ihrem großen Haus in Central L.A. steht ein weißer Jaguar, und durch den Gartenzaun schimmert das leuchtende Blau eines Swimmingpools. Zu ihrer Rechten lebte Ray Charles und ein paar Häuser weiter Ella Fitzgerald, und auf dem Tisch im Wohnzimmer liegen Hochglanzmagazine mit Titelzeilen wie "Alterslose Schönheit" und "Werde sexy". Man könnte jetzt schon wieder umdrehen, weil man die Geschichte zur Frau erahnt, aber dann steht Carol Medina mit zwei kleinen Kindern in der Tür und entschuldigt sich für das Chaos. Sie ist alleinerziehend und hat fünf Kinder und einen Full-Time-Job in einer Anwaltskanzlei. In die USA kam sie einst aus Belize , wo es als schick galt, dick zu sein. Damals lebte sie von Bohnen und Reis. "Das vergesse ich nicht", sagt sie.
Es ist keineswegs so, dass Carol Medina eine große Anhängerin von Schönheitsoperationen ist - wie einige ihrer Bekannten. Es ist auch nicht so, dass sie einmal im Monat zum Fettabsaugen rennen würde - wie einige ihrer Bekannten. Aber der Druck auf Frauen sei schon gewaltig, sagt sie, dieser Druck, jung und schlank und straff zu sein, speziell in dieser Glitzerwelt perfekter Frauen, die ihrem Körper so viele Jahre abschneiden lassen, bis er wieder zur Stadt passt.
Carol Medina ist von Natur aus schlank und straff, und eigentlich, so findet sie, ziemlich perfekt. Sie hat sich lange überlegt, ob Schönheits-OPs zu verantworten sind, hat zwei Jahre recherchiert und hinterfragt, warum sich Typen wie Michael Jackson von einem schwarzen Mann in eine weiße Frau verwandeln. Für einen Moment glaubt man, dass jetzt endlich eine intelligente Kritik an Doktor Matlocks Verjüngungsexzessen folgt. Aber dann sagt sie: "Ich habe Gott um einen Rat gebeten. Und Gott hat sein Jawort gegeben."
Man könnte jetzt fragen, was Gott mit der plastischen Chirurgie zu tun hat, aber darauf hat die gläubige Siebenten-Tags-Adventistin nur gewartet. Sie sagt: "Schönheitschirurgie ist ein Geschenk Gottes. Heilte er früher Leprakranke, so hat er heute die Fähigkeit weitergegeben, Menschen zu verschönern, um sie von persönlichen Qualen zu befreien." Doktor Matlock sei von Gott besonders reich beschenkt worden. Er gebe den Frauen, was sie wünschen. Er mache die Welt schöner.
Vor sechs Wochen gab auch Carol Medina sich in Matlocks Hände, weil sie sich nach den Geburten ihrer Kinder nicht mehr schön genug fand und ihre Schamlippen unsymmetrisch. "Machen wir uns nichts vor", sagt sie. "Männer wollen die Symmetrie." Jetzt fühle sie sich befreit, so als habe sie eine Glückspille genommen. Sie müsse das Licht im Schlafzimmer nicht mehr ausschalten. Sie könne wieder in den Spiegel schauen. "Gott hat mir den Weg gezeigt", sagt sie. Aber hat Gott, so es ihn gibt, Menschen nicht geschaffen, wie sie sind?, fragt man noch. "Ja", sagt Carol Medina, "das hat er. Gott gab mir eine schöne Vagina. Ich hole sie mir nur wieder."
So kehrt man zurück nach Beverly Hills in der Hoffnung, dass wenigstens die Krankenschwester Krista Russell unangenehme Erfahrungen gemacht hat, aber alles ist gut gelaufen. Man bittet die American Society of Plastic Surgeons um eine kritische Stellungnahme, aber sie sehen in den Methoden Doktor Matlocks nichts Verwerfliches. Man fragt die kalifornische Ärztekammer, aber auch dort liegen keine Beschwerden vor.
So fährt man hinaus zur Villa des Doktor Matlock. Er wohnt in einem abgesperrten Privatgebiet in den Bergen nördlich von Los Angeles. Vor seiner Villa stehen tatsächlich ein schwarzer Porsche Turbo und ein schwarzer Mercedes 500. Seine Villa ist geräumig und leer und so klinisch rein wie sein Operationssaal, wie seine Praxis, wie er selbst. Die Wände hautfarben, die Teppiche weiß, die Tische aus Marmor, die Wasserhähne golden. Nichts liegt herum, kein Blatt Papier und keine Zeitschriften, nur auf dem blank geputzten Glastisch steht ein mächtiger Bildband über Mercedes-Benz.
Doktor Matlock trägt ein enges schwarzes Shirt, unter dem seine muskulöse Brust gut zur Geltung kommt, die er gerade beim Thai-Kickboxen trainiert hat. Er präsentiert seine derzeitige Freundin Katia, eine brasilianische Samba-Tänzerin, die ihm mit aufgepepptem G-Spot und innervaginalen Werbefotos zur Verfügung steht und alles "ganz ganz wunderbar, überwältigend, großartig" findet, was er so macht.
"Ich habe es Ihnen gesagt", bemerkt Matlock. "Die Frauen sind glücklich. Die Frauen lieben es, zu mir zu kommen." Nein, die Frauen stehen unter einem unbarmherzigen gesellschaftlichen Druck, den Leute wie Sie erst schaffen. "Nicht doch. Ich helfe den Frauen nur. Ich helfe ihnen, etwas im Leben zu erreichen." Aber Schönheit ist relativ. "Nein, "Playboy"-Models sind die Richtschnur der Schönheit. Ich habe 50 000 Frauen untersucht. Ich weiß, was Schönheit ist." Finden Sie sich schön? Er überlegt eine Weile. Dann sagt er: "Doch, ich bin ein gut aussehender Kerl. Mag ich mich? Ja! Liebe ich mich? Ja!"
Der Doktor ist nicht anzugreifen. Er lächelt milde. Wie europäisch diese Fragen doch seien. "Dies ist L.A.", sagt er. So wie die Fitnesswelle werde auch die Boutique-Chirurgie von Los Angeles aus ihren Siegeszug um die Welt antreten. "Dafür brauche ich die Medien", sagt er schließlich. "Ich benutze die Medien. Sie helfen mir, die Botschaft in die Welt zu tragen." Er lacht - und hört lange nicht auf. Man fährt - und fragt sich, ob die Welt diese Geschichte wirklich braucht.
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